Was verstehst Du unter Selbstbewusstsein? Wie stellst Du Dir einen selbstbewussten Menschen vor? Sicherlich als jemanden, der über ein gesundes Maß an Ego besitzt, der nicht kleinlaut ist, sondern sich Gehör verschafft. Jemand, der eine gewisse „Breitbeinigkeit“ besitzt, sich gerne zeigt und keine Angst hat, seine Meinung kundzutun. Selbstbewusste Männer werden gerne als Macher, Führungspersönlichkeiten und Autoritäten wahrgenommen. Selbstbewusste Frauen – wenn´s gut läuft – ebenso. Wenn´s weniger gut läuft, gelten sie als laut, zu „zeigefreudig“ mit dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit oder als Diva. Dennoch: Wie viele mental coaches, Trainer und Lebensberater verdienen gutes Geld damit, ihren Klienten beizubringen, sich selbst zu verwirklichen? Es erscheint unbedingt wünschenswert, den eigenen Selbstwert zu erhöhen, seine Rechte einzufordern und sich stets zu fragen: Was will ich wirklich? Will ich für andere arbeiten oder nicht doch lieber als Influencer um die Welt jetten? Will ich diesem/r Partner/in treu sein oder nicht doch lieber schauen, ob ich noch jemand besseres finde? Will ich eine Familie gründen oder nicht doch lieber frei und ungebunden bleiben? Was muss ich tun, um meinen eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden? Wie kann ich meine Persönlichkeit stärken?
Eine starke Persönlichkeit zu haben und ein gutes Selbstbewusstsein zu besitzen, scheint der Schlüssel zum Glück zu sein. Darum tun wir so viel dafür; und wundern uns dennoch, dass wir dieses Endziel, wahres Glück zu finden, einfach nicht erreichen. Irgendetwas fehlt immer: Die Anerkennung, der Respekt, die Genugtuung, vielleicht sogar die Bewunderung – alles fällt immer wieder wie ein Kartenhaus zusammen oder hinterlässt ein schales Gefühl von Alleinsein. Denn unser Selbstbewusstsein entfernt uns von den Anderen, macht einsam; schließlich sind die Neider ja auch nie fern. Wie oft glauben wir dann, uns gegen diese „Anderen“ schützen oder sogar wehren zu müssen – am besten, in dem wir an einem noch größeren Selbstbewusstsein arbeiten, das uns unangreifbar macht. Ein Teufelskreis...
Alles, was wir darstellen, was wir uns gönnen, was uns gehört, kann uns vorübergehenden Spaß bereiten, aber es macht uns nicht wirklich glücklich. Darum stellt sich die Frage, ob wir nicht einfach auf dem Holzweg sind, was die Sache mit dem Selbstbewusstsein betrifft. Weil wir uns selbst in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen, sind wir in den Verstrickungen unseres Egos und des Materialismus gefangen und kommen der Wahrheit einfach nicht näher, die da lautet: „Der Mensch ist seiner Wirklichkeit nach ein geistiges Wesen, und nur wenn er im Geiste lebt, ist er tatsächlich glücklich“ (Abdu’l Bahá). Was würdest Du also sagen, wenn ich behaupte, dass wahres Selbstbewusstsein zu Demut führt, zu Bescheidenheit und zu der Erkenntnis, dass wir uns selbst darüber bewusst sein müssen, was wir sind: Geistige Wesen, deren Herzen wie Spiegel sind, welche Gottes Liebe zu den Menschen reflektieren sollen. Mehr Selbst müssen wir nicht bewusst sein. Und alles, was wir tun müssen, um glücklich zu sein, ist, diese Spiegel zu reinigen. Wir müssen sie vom Ego befreien, vom Materialismus dieser Welt und unser ganzes Streben auf göttliche Tugenden ausrichten. Wenn wir wahrhaftig sind, gerecht, fleißig, bescheiden, liebevoll, großzügig, geduldig, wohlwollend … glaubst Du, dann brauchen wir noch dieses falsch verstandene Selbstbewusstsein? Wenn wir nicht auf uns schauen, sondern auf Gott, dann wissen wir, dass unser Selbst dazu dient, die Welt zu verbessern. Dann reflektieren wir seine Liebe und können selbst nicht verletzt werden, weil wir die Liebe Gottes für uns und alle Menschen spüren. Dann sind wir ein Teil des Ganzen und müssen niemandem etwas beweisen.